NEUE OGH-JUDIKATUR ZUM ERBRECHT
Wir konnten kürzlich eine bedeutende erbrechtliche Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) im Zusammenhang mit dem Erbrechtsänderungsgesetz 2015 erwirken: Das Höchstgericht folgt in seiner Entscheidung zu 2 Ob 64/19d unserer Auffassung (und behält somit den Kern seiner Rechtsprechung zur alten Rechtslage bei), wonach ein lebenslanges Wohnrecht des Erblassers den Wert einer von ihm geschenkten Liegenschaft bei der Pflichtteilsberechnung nicht schmälert.
Folgender Ausgangsfall lag der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zugrunde:
Ein halbes Jahr vor seinem Tod, schenkte der Erblasser seiner Lebensgefährtin eine Liegenschaft und behielt sich auf dieser ein lebenslanges Wohnrecht vor. Der Erblasser setzte seine Lebensgefährtin in seinem Testament zu seiner Alleinerbin ein.
Die Klägerin war die Tochter des Erblassers und daher pflichtteilsberechtigt. Ihr stand neben ihrem Bruder ein Pflichtteilsanspruch von ¼ zu. Für die Ermittlung des Pflichtteilsanspruchs der Klägerin war der Wert der an die Lebensgefährtin geschenkten Liegenschaft dem reinen Nachlass hinzuzurechnen.
Die beklagte Lebensgefährtin des Erblassers hingegen war der Auffassung, dass das Wohnrecht des Erblassers eine so große Wertminderung der Liegenschaft darstellte, dass sich der Pflichtteilsanspruch der Klägerin auf Basis eines um diese Wertminderung gekürzten Liegenschaftswertes errechnen würde.
Die Klägerin machte daher mit unserer Unterstützung gegen die Beklagte ihren Pflichtteilsergänzungsanspruch klagsweise geltend.
Rechtsfrage und Entscheidungen der Vorinstanzen:
Bis zur Erbrechtsnovelle hat der OGH in ständiger Rechtsprechung vertreten, dass bei der Ermittlung des Liegenschaftswertes ein auf Lebenszeit bestehendes Wohnrecht des Erblassers unberücksichtigt bleibt. Da sich der Gesetzestext zur Bewertung von Liegenschaften bei anrechnungspflichtigen Schenkungen mit der Erbrechtsnovelle 2017 jedoch geändert hat, stellte sich die Frage, ob diese Ansicht des OGH weiterhin aufrecht bleibt.
Vor der Erbrechtsnovelle wurden anrechnungspflichtige Schenkungen von Liegenschaften nach dem Gesetzeswortlaut nämlich im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bewertet. Mit dem Erbrechtsänderungsgesetz 2015 wurde der Gesetzestext dahingehend geändert, dass Liegenschaften nunmehr im Schenkungszeitpunkt zu bewerten sind und der so ermittelte Wert auf den Todeszeitpunkt zu indexieren ist.
Aufgrund dieser Änderung des Bewertungszeitpunktes sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass ein Wohnrecht des Erblassers den Wert der Liegenschaft schmälern müsse, weshalb der Wert des Wohnungsgebrauchsrechts - gerechnet auf die statistische Lebenserwartung des Erblassers im Schenkungszeitpunkt - vom Liegenschaftswert in Abzug zu bringen sei. Der OGH teilte die Entscheidungen der Vorinstanzen jedoch nicht und gab der Revision der von uns vertretenen Klägerin vollinhaltlich Folge.
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes:
Der OGH teilt unsere Rechtsauffassung und entschied, dass auch nach dem Erbrechtsänderungsgesetz 2015 der Wert eines vom Erblasser bei der Schenkung vorbehaltenen Wohnrechts bei der Schenkungsanrechnung für die Bemessung des Pflichtteils außer Ansatz zu lassen ist, weil im Übergabezeitpunkt mit Sicherheit feststand, dass diese Belastung mit dem Tod des Erblassers wegfallen wird.
Diese Ansicht begründet der OGH einerseits damit, dass der neue Gesetzeswortlaut weiterhin offenlässt, wie mit einem vorbehaltenen Wohnungsgebrauchsrecht des Geschenkgebers/Erblassers bewertungstechnisch umzugehen ist. Da das Gesetz somit keine eindeutige Aussage trifft, muss bei der Auslegung der Bestimmungen der Schenkungshinzurechnung und -anrechnungen darauf geachtet werden, dass die dabei erzielten Auslegungsergebnisse mit den übrigen Bestimmungen des Pflichtteilsrechts stimmig und frei von Wertungswidersprüchen sind.
Andererseits würde ein Abzug dazu führen, dass ein zur Anrechnung einer Schenkung verpflichteter Pflichtteilsberechtigter bei einer mit einem zurückbehaltenen Nutzungsrecht verbundenen lebzeitigen Schenkung besser stünde als bei Zuwendung derselben Sache erst auf den Todesfall. Das wäre mit den Zwecken des Pflichtteilsrechts nicht vereinbar (vgl A. Tschugguel, EF-Z 2017/90, 183).
Da ein Abzug des Wohnungsgebrauchsrechtes also zu eklatanten Wertungswidersprüchen im Pflichtteilsrecht bei der Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen führen würde, gelangte der OGH zu seiner diesbezüglichen Entscheidung.
Fazit:
Die Entscheidung des OGH ist richtig und nachvollziehbar, weil ein anderes Ergebnis zu einer völlig systemwidrigen und vom Gesetzgeber wohl keinesfalls gewollten gröblichen Benachteiligung von Pflichtteilsberechtigten führen würde, zu deren Gunsten und Schutz die gesetzlichen Regelung über die Schenkungshinzu- und -anrechnung ja gerade bestehen.
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