COVID-19 | Baurecht
Die Arbeiten auf Österreichs Baustellen wurden in den letzten Tagen vermehrt eingestellt, um dadurch Bauarbeiter vor einer Infizierung mit COVID-19 zu schützen und generell die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Auf heimischen Baustellen soll nun aber unter verschärften Schutzmaßnahmen (8-Punkte-Katalog) auch in der Corona-Krise weitergearbeitet werden können, ohne dass die Bauarbeiter allzu hohen Ansteckungsrisiken ausgesetzt sind. Auftragnehmer und Auftraggeber stellen sich indes jedoch die Frage, wer für Unterbrechungen und Verzögerungen von Bauarbeiten aufgrund der Corona-Krise verantwortlich ist bzw. wer die damit verbundenen Gefahren (Leistungsgefahr bzw. Preisgefahr) zu tragen hat.
Zunächst ist festzuhalten, dass die COVID-19-Pandemie ein Ereignis „höherer Gewalt“ darstellt. Nach ständiger Rechtsprechung ist höhere Gewalt dann anzunehmen, wenn ein außergewöhnliches Ereignis von außen einwirkt, nicht in einer gewissen Regelmäßigkeit vorkommt bzw. zu erwarten ist und selbst durch äußerste zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch in seinen Folgen unschädlich gemacht werden kann. Ereignisse höherer Gewalt sind der „neutralen Sphäre“ zuzuordnen. Darunter versteht man Umstände, die außerhalb der Ingerenz der Vertragsparteien liegen.
Gleichzeitig muss jedoch beachtet werden, dass nicht jede Verzögerung, welche während der COVID-19-Krise am Bau geschieht, zwangsläufig auf höhere Gewalt zurückzuführen ist. Man stelle sich nur beispielsweise einen Auftragnehmer vor, der mangels Interesse an der Einhaltung von Schutzvorschriften eine Fertigstellung vereitelt obwohl dies theoretisch möglich gewesen wäre. Es wird also stets eine Beurteilung des Einzelfalls notwendig sein, um die Gefahrtragung tatsächlich zu klären.
Für die Frage, welche der Vertragsparteien (Auftraggeber oder Auftragnehmer) das Risiko der neutralen Sphäre zu tragen hat, ist entscheidend, ob die Regelungen des ABGB oder stattdessen jene der ÖNORM B 2110 zur Anwendung gelangen. Sofern im Bauvertrag die ÖNORM B 2110 nicht ausdrücklich vereinbart wurde und auch keine sonstige vertragliche Regelung besteht, gilt grundsätzlich das Werkvertragsrecht des ABGB.
ABGB-Vertrag | ÖNORM B 2110
Gemäß den werkvertraglichen Bestimmungen des ABGB (§§ 1151, 1165 ff) schuldet der Auftragnehmer einen Erfolg, weshalb ihm auch das Risiko der neutralen Sphäre zuzuordnen ist. Entsteht aufgrund von Unterbrechungen und Verzögerungen der Bauarbeiten ein erhöhter Aufwand, kann der Auftragnehmer hierfür weder Mehrkosten geltend machen noch eine Anpassung des Vertrags verlangen. Wird die Ausführung des (Bau)Werks hingegen durch Umstände auf Seiten des Auftraggebers gestört, kann er von diesem eine Entschädigung für die eingetretenen Erschwernisse fordern, etwa dann, wenn aufgrund der COVID-19-Pandemie Vorleistungen eines vom Auftraggebers beauftragten Unternehmens nicht erbracht werden können.
Laut Punkt 7.2.1. ÖNORM B 2110 sind hingegen Ereignisse, die eine vertragsmäßige Ausführung der Leistung objektiv unmöglich machen, der Sphäre des Auftraggebers zuzurechnen. Gleiches gilt für Ereignisse, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbar waren und vom Auftragnehmer auch nicht in zumutbarer Weise abgewendet werden können. Die Gefahr von Leistungsstörungen aufgrund von COVID-19 geht bei Anwendbarkeit der ÖNORM B 2110 somit idR zulasten des Auftraggebers. Der Auftragnehmer kann sowohl die ihm entstandenen Mehrkosten einfordern als auch eine Anpassung der Bauzeit verlangen.
Bauträgervertrag
Beim Bauträgervertrag handelt es sich rechtlich um einen Werkvertrag, weshalb idR die Bestimmungen des ABGB anzuwenden sind. Gerät ein Bauträger aufgrund von COVID-19 in Verzug, stehen dem Käufer zwei Möglichkeiten offen: Einerseits kann der Käufer am abgeschlossenen Bauträgervertrag festhalten, wobei die verzögerte Übergabe der Wohnung in diesem Fall hinzunehmen ist. Andererseits kann er nach Setzung einer angemessenen Nachfrist vom Bauträgervertrag zurückzutreten.
Liegt jedoch – wie in den meisten Fällen – ein Bauträgervertrag vor, in welchem gemäß Bauträgervertragsgesetz (BTVG) die Abwicklung durch ein grundbücherliches Sicherungsmodell in Verbindung mit einer Ratenzahlung des Kaufpreises vereinbart wurde, ist von einem Rücktritt durch den Käufer abzuraten, da in diesem Fall sein Rückforderungsanspruch nicht gesichert ist. Kann ein Bauträger etwa wegen Insolvenz seiner Rückzahlungspflicht nicht nachkommen, verliert der Käufer zusätzlich zur Wohnung auch noch – bis auf die Insolvenzquote – den von ihm bis dahin bereits entrichteten Kaufpreis.
Verzugspönalen
Durch die Auswirkungen von COVID-19 ist bereits jetzt vorhersehbar, dass zahlreiche Bautermine nicht eingehalten werden können, weshalb sich die Frage stellt, ob in diesem Zusammenhang Verzugspönalen geltend gemacht werden können.
Pönalen für die Nichteinhaltung von Terminen sind ein häufiger Bestandteil von Bauverträgen. Als pauschalierte Form des Schadenersatzes wird die Geltendmachung zumeist vom Verschulden des Auftragnehmers abhängig gemacht. Im Zusammenhang mit COVID-19, etwa wenn Bauarbeiten unterbrochen werden, da der Sicherheitsabstand zwischen den einzelnen Arbeitern nicht gewährleistet werden kann, wird jedoch regelmäßig kein Verschulden des Auftragnehmers vorliegen. Zudem sieht § 1336 Abs 2 ABGB ein richterliches Mäßigungsrecht für Vertragsstrafen vor, welches zwingend ist und vertraglich nicht ausgeschlossen werden kann.
Im Bauvertrag können aber auch verschuldensunabhängige Verzugspönalen vereinbart worden sein. Fraglich ist allerdings, ob solche Vereinbarungen im Fall der COVID-19-Pandemie nicht als sittenwidrig zu beurteilen sind, weil dadurch ein gänzlich unvorhersehbares und folglich unkalkulierbares Risiko verwirklicht wird.
Fortsetzung des Baus | 8-Punkte-Katalog:
Da die in Kraft stehende COVID-19- Maßnahmengesetz-Verordnung ein Betretungsverbot für öffentliche Orte vorsieht, das Arbeiten auf Baustellen aber nicht generell verboten ist, kann der Betrieb auf den Baustellen in Österreich - mit verschärften Schutzmaßnahmen - grundsätzlich weitergehen. Die Bau-Sozialpartner haben sich auf einen 8-Punkte-Katalog geeinigt, der zusätzliche Regeln zum Schutz der Beschäftigten vorsieht (zB Einhaltung eines 1 Meter Mindestabstands oder entsprechende Schutzmaßnahmen wie Tragung von Schutzausrüstung/Masken oder Vollvisierhelme). Der Katalog sieht auch zusätzliche Vorgaben für die Arbeitshygiene und die Organisation auf einer Baustelle vor (wie zB die Verwendung von Desinfektionsmitteln und regelmäßiger Reinigung aller Einrichtungen auf der Baustelle). Den Baustellenkoordinatoren, üblicherweise ein Ziviltechniker oder Zivilingenieur, werden besondere Aufsichts- und Kontrollpflichten auferlegt. Sie sollen für eine „größtmögliche zeitliche oder örtliche Entflechtung gleichzeitig durchzuführender Tätigkeiten“ sorgen.
Ein Arbeiten auf Baustellen bleibt somit bei Einhaltung bestimmter Maßnahmen trotz COVID-19-Pandemie grundsätzlich weiter möglich. Die Einhaltung dieser Maßnahmen im Baustellenalltag sowie grobe Störungen in Lieferketten durch Grenzschließungen und Betriebseinstellungen stellen die Bauwirtschaft aber dennoch vor große Herausforderungen.
Conclusio:
Liegen einem Bauvertag die Bestimmungen des ABGB zugrunde, trägt grundsätzlich der Auftragnehmer das Risiko im Zusammenhang mit COVID-19. Bei Vereinbarung der ÖNORM B 2110 trägt dieses Risiko hingegen der Auftraggeber. Von einem Rücktritt von Bauträgerverträgen ist Käufern idR abzuraten. Verzugspönalen wegen den Auswirkungen von COVID-19 (bzw. dadurch erfolgter Maßnahmen) werden in der Regel mangels Verschuldens nicht geltend gemacht werden können. Gegenwärtig sind Bauabreiten vielerorts noch unterbrochen und ist auch in Zukunft mit Verzögerungen zu rechnen. Der neue 8-Punkte-Katalog soll die Bauwirtschaft aber dabei unterstützen unter Wahrung von Arbeitnehmerschutz tätig zu sein und diesen Wirtschaftsfaktor nicht vollkommen zum Erliegen zu bringen. COVID-19 wird auch die Bauwirtschaft mit all ihren angeschlossenen Lieferketten und vielen Einpendlern aus dem Ausland weiter intensiv beschäftigen.
Unser Baurechts-Team von GIBEL ZIRM Rechtsanwälte steht Ihnen bei sämtlichen Fragen in diesem Zusammenhang gerne zur Seite!
Maximilian Zirm | Partner - m.zirm@gibelzirm.com
David Stockhammer | Rechtsanwalt - d.stockhammer@gibelzirm.com
Michael Niederegger | Rechtsanwaltsanwärter - m.niederegger@gibelzirm.com
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