Klimaklagen gegen Staaten als Instrument für den Klimaschutz
Unter großer medialer Aufmerksamkeit manifestieren sich verfassungsrechtliche Klimaklagen gegen Staaten vermehrt als Instrument zur Bekämpfung von klimaschädlichen Handlungen bzw. Unterlassungen seitens der jeweiligen Regierungen. Dass Klimaklagen stetig zunehmen, zeigen zahlreiche Erhebungen wie etwa die Datenbank des Sabin Center for Climate Change an der Columbia University, in welcher weltweit bereits über 2.000 derartige Klagen dokumentiert wurden. Nach einer Begriffsdefinition wird in diesem Beitrag erläutert, inwiefern dieses Instrument in Europa bereits erfolgreich war und an welche juristischen Grenzen es regelmäßig stößt.
Begriff der „Klimaklage“ und rechtliche Einordnung
Unter dem Begriff „Klimaklage“ können jene Anträge auf gerichtliche Entscheidung zusammengefasst werden, die entweder den Staat zu einer strengeren Klimapolitik verpflichten („vertikale Klimaklagen“) oder Private für ihr klimaschädliches Handeln zur Verantwortung ziehen sollen („horizontale Klimaklagen“). Die konkrete Bezeichnung der Klage richtet sich jedoch nach nationalem Recht.
In Österreich kann eine derartige „vertikale Klimaklage“ gegen den Staat etwa mit Individualantrag auf Normenkontrolle vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) erhoben werden. In Deutschland ist dieser Rechtsbehelf als Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu bezeichnen.
„Horizontale Klimaklagen“ richten sich zumeist gegen klimaschädigendes Verhalten von Konzernen und haben Unterlassungs- bzw. Schadenersatzansprüche zum Gegenstand. In Österreich würde es sich hierbei um zivilgerichtliche Klagen handeln, wobei es in der Praxis bis dato keine nennenswerten Fälle gibt. Dies liegt vor allem an zwei rechtlichen Hürden. Einerseits mangelt es in vielen Fällen an der Zuständigkeit österreichischer Zivilgerichte, zumal das vorgeworfene Verhalten vielfach keinen territorialen Bezug zum Bundesgebiet aufweist. Andererseits sind klimapolitische Vorgaben meist regulativer Natur und stellen daher keine tauglichen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen für einzelne Klimakläger dar. Eine horizontale Klimaklage hätte nach österreichischem Recht nur dann in einem Zivilprozess Aussicht auf Erfolg, wenn der Klimakläger nachweisen könnte, dass sein Prozessgegner unmittelbar und konkret in seine geschützte Rechtsposition eingegriffen hat. Dies ist bei bloß die Allgemeinheit treffendem – wenn auch als „klimaschädlich“ einzuordnendem – Verhalten nicht der Fall.
Bestandaufnahme: Europas erfolgreiche Klimaklagen
Im Dezember 2019 bestätigte das niederländische höchste Gericht, der „Hoge Raad der Nederlanden“, in der Rechtssache Urgenda eine im Jahr 2015 ergangene Entscheidung, mit welcher die niederländische Regierung dazu verurteilt wurde, den Ausstoß der jährlichen klimaschädlichen Treibhausgase bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 25 Prozent zu senken. Diese „vertikale Klimaklage“ war die erste erfolgreiche menschenrechtliche Klage dieser Art, bei der die Regierung eines Staates zu strengeren Klimaschutzzielen bzw. Klimaschutzmaßnahmen verurteilt wurde. Die Entscheidung hat großes Aufsehen erregt und galt lange Zeit als Vorbild für Klimaklagen.
Im März 2021 fasste das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) als Reaktion auf vier Verfassungsbeschwerden seinen berühmten „Klimabeschluss“. Die Beschwerden richteten sich gegen einzelne Bestimmungen des deutschen Klimaschutzgesetzes (kurz KSG) und gegen das Unterlassen weiterer Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen. Mit dem „Klimabeschluss“ erklärte das BVerfG Teile des KSG für verfassungswidrig, woraufhin das KSG novelliert und eine Erhöhung des Reduktionsziels für Treibhausgasemissionen bis 2030 von 55% auf 65% vorgenommen wurde. Das Verfassungsgericht ist mit seinem Beschluss überraschend von seiner bislang restriktiven Auslegung der Zulässigkeitskriterien der Verfassungsbeschwerde abgewichen, indem es die erforderliche unmittelbare Betroffenheit der Kläger bejaht hat. Im Klimabeschluss wurde diese Voraussetzung derart weit ausgelegt, dass Kritiker darin die Einräumung einer „Popularklage“ für Klimaschutz erblicken, die von jedermann erhoben werden kann, selbst wenn der Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt wurde. Dies wurde teils als zu weitgehend und ausufernd angesehen.
Das BVerfG hat mit dem genannten Klimabeschluss seinen bisherigen Kurs gebrochen und hinsichtlich Klimapolitik erstmals inhaltlich Stellung genommen. Ein darauffolgender Beschluss, mit welchem elf ähnliche Verfassungsbeschwerden (diese bezogen sich auf Klimaschutzmaßnahmen auf Landesebene) nicht zur Beschwerde angenommen wurden, dürfte aber dagegensprechen, dass das BVerfG auch in Zukunft derartige Eingriffe in die Gesetzgebung vornehmen wird.
Die Haltung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs
In Österreich wurden „vertikale Klimaklage“ formaljuristisch zuletzt in Form von Individualanträgen auf Normenkontrolle erhoben. Diese werden beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) gestellt. Die prozessualen Rahmenbedingungen für den Individualantrag in Österreich verhindern es grundsätzlich, dass hierzulande „Klimaklagen“ wie jene in Deutschland erfolgreich sein können, weil es ihnen meist schon formell an der Zulässigkeit mangelt. Zulässig ist ein Individualantrag nämlich nur, wenn die bekämpfte Rechtsvorschrift für den Antragsteller ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung bzw. ohne Erlass eines Bescheides, also „unmittelbar“, wirksam ist. Nur unter dieser Voraussetzung kann mit Individualantrag die Prüfung der Vorschrift erwirkt werden. Dies war bisher der Knackpunkt, welcher zum Scheitern der Klimaklagen in Österreich geführt hat.
Die offiziell erste „Klimaklage“ Österreichs wurde im Februar 2020 erhoben. Mit ihr sollten klimaschädliche Steuerbefreiungen zugunsten der Flugindustrie im Umsatzsteuergesetz, im Mineralölsteuergesetz sowie in der Luftfahrtbegünstigungsverordnung bekämpft werden. Der VfGH verfolgte einen formaljuristischen Ansatz und wies den Individualantrag letztlich wegen fehlender Antragslegitimation mangels unmittelbarer Betroffenheit der bahnfahrenden Antragsteller als unzulässig zurück. Der in diesem Verfahren ergangene und mit großen Erwartungen verbundene Beschluss im Verfahren rund um die erste Klimaklage Österreichs hat eine Vielzahl an gemischten Reaktionen in der juristischen Fachwelt ausgelöst.
Aus diesem sowie zwei darauffolgenden Beschlüssen des VfGH geht hervor, dass der VfGH an seiner bisher strengen Rechtsprechung zur Antragslegitimation hinsichtlich des Individualantrages festhält. Ein Abweichen des VfGH von dieser Judikaturlinie, welches erforderlich wäre, um eine dem Klimabeschluss des deutschen BVerfG ähnliche Entscheidung erwarten zu können, ist derzeit nicht absehbar.
Juristische Bewertung: Verletzung der Gewaltenteilung?
Die Vorgehensweise, mittels verfassungsrechtlicher Klimaklagen in die Gesetzgebung einzugreifen, mag in manchen Kreisen auf Zuspruch stoßen. Verfassungsjuristen sehen dies jedoch vermehrt kritisch. Ihnen zu Folge befinden sich Gerichte in einer äußerst heiklen Situation, in welcher sie die Aushöhlung der Gewaltenteilung unbedingt vermeiden müssen. Klimaschutz iS eines Schutzes kollektiver Interessen (Bewahrung der Bürger vor Umweltkatastrophen) ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers (Legislative) und nicht der richterlichen Gewalt (Judikative). Gesellschaftspolitische Entscheidungen sind somit prinzipiell vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber zu treffen, nicht vom „Richter als Klimapolitiker“. Eine innovative Klimajustiz könnte die Autorität des legitimierten Parlaments gefährden, indem sie den Eindruck verstärkt, der Gesetzgeber sei nicht dazu in der Lage, die mit dem Klimawandel einhergehenden Probleme adäquat zu lösen. Manche Beobachter erblicken in der Machtverschiebung von der Legislative hin zur Judikative auch eine Bedrohung des demokratischen Prozesses des Rechtsstaats.
Die oben dargestellten Entscheidungen der obersten Verfassungsgerichte in Sachen Klimapolitik werfen die altbekannte Frage danach auf, wo die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit liegen. Es dürfte unbestritten sein, dass ein Verfassungsgericht eine politisch sensible Frage nicht aus Prinzip meiden darf. Verfassungsgerichte können die an sie herangetragenen Fälle weder selbst wählen noch deren Behandlung bloß deshalb ablehnen, weil es sich um eine „politische Fragen“ handelt. Dass es auch bzw. gerade im politischen Bereich zur Verletzung der Verfassung bzw. der Grundrechte kommen kann, liegt auf der Hand. Dass in diesem Fall das Verfassungsgericht zur Wahrung der Verfassung berufen ist, ist ebenso unstrittig. Wie auch alle übrigen obersten Organe sollte jedoch auch ein Verfassungsgericht die Grenzen seiner Funktionen nicht überschreiten und gesetzgeberische Tätigkeiten dem hierfür demokratisch legitimierten Gesetzgeber überlassen, solange sich dieser im Rahmen der Verfassung bewegt.
Insbesondere in Staaten, in denen die jeweiligen Verfassungsgerichte ein besonders hohes Ansehen genießen, wie das insbesondere in Österreich und auch in Deutschland der Fall ist, scheint es gerade in der breiten Öffentlichkeit einen regelrechten Hilferuf an diese zu geben, sobald gesellschaftlich besonders heikle Fragen auf politischer Ebene nicht adäquat behandelt werden. Diese Reaktion ist zwar nachvollziehbar, jedoch sollte sich ein Jeder die Frage stellen, ob das hohe Ansehen der Verfassungsgerichte auch bestehen bleibt, wenn diese sich zur Behandlung politischer Fragen hinreißen ließen, die in ihren Kompetenzbereich fallen. Dieser liegt in der Kontrolle des Handelns von Gesetzgebung und Verwaltung auf dessen Verfassungsmäßigkeit und erfasst nicht das Erarbeiten normativer (gesetzlicher) Vorgaben. Es kann wohl behauptet werden, dass die positive Wahrnehmung der Verfassungsgerichte insb. auf ihr überwiegend neutrales richterliches Entscheidungsverhalten zurückzuführen ist. Eine gewisse Zurückhaltung scheint daher grundsätzlich auch weiterhin geboten.
Ganz unabhängig von ihrer juristischen Einordnung und Bewertung kann jedenfalls nicht abgestritten werden, dass sie in Sachen Klimaschutz durch die Aufmerksamkeit, die sie in der Fachwelt und auch in der breiten Öffentlichkeit zu erregen vermögen, ein effektives Mittel der Gestaltung von Klimapolitik darstellen können.
Walter Bajons | Rechtsanwalt – w.bajons@gibelzirm.com
Tabea Thurner | Paralegal – t.thurner@gibelzirm.com
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